Trotz aller Kritik an der Amtskirche steht für Hochschulpfarrer Burkhard Hose fest: „Ich will nicht raus aus meiner Kirche. Ich will nicht alleine bleiben mit meinem Glauben.“ Projekte wie die Bücher zusammen mit der Benediktinerin Philippa Rath oder das Engagement für Out in Church sind für ihn nicht einfach Kampagnen, sondern spirituelle Erfahrungen. „Das ist meine Kirche“, sagt Burkhard Hose, und: „Da hat sich für mich eine neue Form von Kirche-Sein ereignet, die weit über das herkömmliche Verständnis oder über eine rein formale Mitgliedschaft hinausgeht.“
Die Grundlage für diesen Glaubensweg geht bis in Hoses Kindheit zurück. Er wurde im April 1967 in Hammelburg geboren. Die Kleinstadt an der Fränkischen Saale war bis zur Gebietsreform 1972 Kreisstadt, mittlerweile gehört sie zum Landkreis Bad Kissingen im Bistum Würzburg. In seiner Jugend habe er sich natürlich auch „an unserem eher konservativen Pfarrer gerieben“, sagt Hose. Allerdings habe er nie das Bedürfnis gehabt, sich wie Gleichaltrige eine „Auszeit von der Kirche zu nehmen“.
„Meine ausgeprägte Liebe zur Demokratie und meinen Gerechtigkeitssinn habe ich letztlich der Kirche zu verdanken“, sagt Hose: „Meinen Widerstandsgeist und meine Skepsis gegenüber Autoritäten, die Gefolgschaft verlangen, habe ich nämlich genau in dieser Kirche entwickelt.“ Dazu gehörten auch „endlose Mitgliederversammlungen in kirchlichen Jugendverbänden“ oder die „stark gesellschaftspolitisch aufgeladenen“ Jugendkreuzwege der 1980er Jahre. Dabei habe er erfahren, „dass der Glaube nicht weltabgehoben ist, sondern sehr konkret mit den Realitäten zu tun hat“.
In den letzten drei Jahren vor dem Abitur habe er sich mit anderen Jugendlichen zu Bibelkreisen bei einer Religionspädagogin getroffen. „Wir saßen da jede Woche auf dem Teppichboden mit aromatisiertem Tee und Chips und haben uns mit biblischen Texten beschäftigt, und zwar auf eine andere Weise, als dies im gemeindlichen Bibelkreis üblich war“, erinnert sich Hose. Die junge Katechetin habe dabei sein Interesse für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Bibel geweckt.
In der Familie habe ihn vor allem sein Vater geprägt, der als Zwölfjähriger aus Oberschlesien fliehen musste und als junger Mann ein Jahr in den USA lebte. Er habe ihm „das kritische Bewusstsein gegenüber Institutionen und Systemen, die einen besetzen und vereinnahmen wollen“, vermittelt. Und „das Bedürfnis und die Bereitschaft, sich zu engagieren“. Auch wegen der Lebensgeschichte seines Vaters verspüre er „für Menschen auf der Flucht ein hohes Maß an Mitgefühl und Solidarität“. Für seinen Mut und sein unbeirrtes Eintreten gegen Unrecht und Diskriminierung erhielt Hose im Jahr 2014 den Würzburger Friedenspreis.
Bis heute empfindet er es als „Glück, dass ich in meiner Kindheit und Jugend die Kirche so positiv erleben durfte“, sagt Hose. Erst im Priesterseminar habe er sich immer häufiger positionieren und mit den verschiedenen Strömungen auseinandersetzen müssen. Von Schönstättern bis zu Studentenverbindungen, von Stundengebeten bis zur Hilfe bei der Bahnhofsmission: „Das hat mich zunächst ziemlich überfordert.“ Und: „Ich habe generell immer mehr gespürt, wie sehr Kirche auch mit Hierarchie, Angst, Ungerechtigkeit und, ja, sogar mit Unrecht zu tun hat – und dass sich in mir etwas dagegen wehrt.“
Ein erster Schritt, um aus diesem „hierarchisch-klerikalen System“ auszusteigen, sei die Weigerung gewesen, nach dem Vordiplom ans Germanicum nach Rom als Kaderschmiede zu wechseln. Stattdessen sei er in die Schweiz nach Luzern gegangen und habe dort „eine andere Art von Kirche“ erlebt. Bereits damals habe es in Luzern Leitungsmodelle gegeben, die nicht von Priestern abhängig waren. „So etwas kannte ich bis dahin gar nicht.“
Verzicht auf Privilegien eines Pfarrers
„Mehr als ungesund“ sei aus heutiger Sicht auch der Umgang mit Homosexualität im Priesterseminar gewesen, sagt Hose. Das Thema sei „einerseits tabuisiert, andererseits dauerpräsent“ gewesen. „Ich habe sehr bald Kirche als eine Institution erfahren müssen, die mich ablehnt und diskriminiert“, sagt Hose heute. In seiner Familie sei das anders gewesen: Geoutet habe er sich dort mit Mitte dreißig. Seine Eltern hätten nur gesagt: „Hauptsache, du bist glücklich.“
Im Gegensatz dazu die Erfahrung in der Kirche: „Ich hatte all die Jahre eine wahnsinnige Angst, entdeckt zu werden“, sagt Hose und verweist auf die Aussage von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2005, dass ein schwuler Mann nicht Priester sein dürfe. „Bis auf den heutigen Tag ist diese diskriminierende päpstliche Aussage nicht zurückgenommen worden.“
Kurz nach dem Antritt seiner Stelle in der Hochschulgemeinde sei er „zwangs-geoutet“ worden. Weil er eine Gefahr für Studenten sei, sei ihm eine Versetzung angedroht worden. „Letztlich ist nichts passiert, weil ich angekündigt habe, an die Öffentlichkeit zu gehen.“ Hose berichtet von starken Existenzängsten in der Zeit und von einem „Gefühl, ich hätte mir das Priesteramt in der Kirche eigentlich zu Unrecht erschlichen“.
Dankbar ist Hose bis heute für die Begleitung durch Menschen wie den Theologieprofessor Karlheinz Müller und dessen Frau Brigitte, die ihm „so etwas wie ein Schutzschild gegen klerikale Selbst- beziehungsweise Fremdüberhöhung“ gegeben hätten. Für ihn als Hochschulpfarrer stehe nun der Respekt vor Freiheit und Selbstbestimmtheit an oberster Stelle. Und er habe gelernt: „Heute Kirche zu sein, braucht vor allem die Bereitschaft, bisherige Konzepte loszulassen und noch nicht zu wissen, wie es geht.“
Unter anderem habe er sein Büro – natürlich das größte in der Hochschulgemeinde – aufgegeben, seit er sich seit 2022 die Leitungsverantwortung mit seiner Kollegin Ulrike Michel-Schurr teilt. „So banal ist es, wenn man Macht teilt. Es bedeutet Verzicht auf Privilegien“, sagt Hose.
Auf seinem Lebensweg habe ihm die Erkenntnis geholfen, dass Kirche und Reich Gottes noch nie deckungsgleich waren und es auch heute nicht sind. Trotzdem bleibe er Teil der Amtskirche, denn: „Es gibt auch heute eine Kirche, die lebt und die gleichzeitig auch neu entsteht.“
Ralf Ruppert